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Auf einen Kaffee mit Jean-Baptiste Vuille

Er ist Friedhofsgärtner in Zuchwil und bereitet sich mit seinem Team auf den Allerheiligen vor. Jean-Baptiste Vuille öffnete mit 40 Jahren zum ersten Mal ein Grab, um einen Leichnam herauszuholen. Damals leitete ihn ein älterer Gärtnerkollege an, ein Deutscher, der die Nazi-Zeit und den Krieg miterlebt hatte. «Er hatte eine ganz andere Beziehung zum Tod. Er sah das Sterben sehr nüchtern und klar. Er zeigte auf den Sarg und sagte zu mir: Das könntest auch du sein – und du würdest genau gleich aussehen», erzählt der heute 52-Jährige. Er spricht langsam, macht Pausen zwischen seinen Sätzen. Im kleinen Sitzungszimmer der Flury Gartenbau AG, die er gemeinsam mit Beat Flury führt, lehnt sich Vuille auf seinem Stuhl zurück. Seine Augen bleiben fest auf sein Gegenüber fixiert, seine Haltung ändert sich im Verlauf des Gesprächs kaum. Um Friedhofsgärtner und Totengräber zu sein, müsse man eine gewisse innere Ruhe haben, sagt der Zuchwiler. Vor allem beim Wiederöffnen eines Grabes, also einer Exhumierung, denn einen verwitterten Sarg und eine verweste Leiche zu sehen, könne Nerven brauchen. «Mein Kollege half mir bei diesem ersten Tag sehr, diese Ruhe zu finden.» Seitdem hat der Friedhofsgärtner drei weitere Male eine Exhumation vorgenommen.

Eine andere Stimmung als in einem Privatgarten

Das Öffnen von Gräbern sei aber nicht an der Tagesordnung für einen Friedhofsgärtner. Vuille ist gemeinsam mit einem Team verantwortlich für die Pflege des Rasens und der Pflanzrabatten auf dem Areal sowie das Ausheben und die Schliessung von Gräbern. Dafür wird die Flury Gartenbau AG von der Gemeinde beauftragt – dazu bekommt das Team noch private Aufträge zur Pflege einzelner Gräber. Vuille plant, bepflanzt und pflegt auch Privatgärten. Doch das Gärtnern auf dem Friedhof sei für ihn etwas ganz Spezielles. Das habe er schon in der Weiterbildung zum Obergärtner so empfunden – warum eigentlich, kann er nicht mehr genau sagen. Er weiss aber, warum er es jetzt gerne macht: «Auf einem Friedhof herrscht eine ganz andere Stimmung als in einem Privatgarten. Wenn ich dort den Rasen mähe, dann weiss ich, dass ich das mache, um einem toten Menschen eine schöne letzte Ruhestätte zu geben. Jede kleine Handlung bekommt eine viel grössere Bedeutung», erklärt er.

Im Verlauf der Weiterbildung lernte Vuille Beat Flury kennen, dessen Vater seinerzeit der Friedhofsgärtner in Zuchwil war. So lernte Vuille von den Flurys das Handwerk und übernahm später deren Rolle in der Gemeinde. Damals, erinnert sich Vuille zurück, hatten sie im Herbst immer einen riesigen Stress. Denn sie mussten, wie auch heute noch, die Gräber für den Allerheiligen am 1. November vorbereiten. Allerdings: «Das war alles noch viel extremer als heute. Sie arbeiteten die Woche vorher oft bis spät am Abend. Und am Morgen des 1. Novembers stand Grossvater Flury früh auf, um noch die letzten Herbstblätter von den Gräbern zu wischen», erzählt er.

Das würden sie jetzt nicht mehr tun. Aber natürlich sei es dennoch eine spezielle Vorbe-reitung, ganz anders als bei den Grabpflegearbeiten, die sie im Frühling und im Sommer vornehmen: «Die Angehörigen möchten etwas Besonderes für die Verstorbenen. Sie bestellen Dekorationen aus Koniferenzweigen oder Blumen. Dann veranstalten sie Umzüge und Andachten.» Für ihn sei dies immer noch beeindruckend. Ursprünglich kommt Vuille aus dem Kanton Baselland- in seiner Region habe man diese Art von Feiern am Allerheiligen nicht so gekannt. Inzwischen ist es für ihn aber zur Routine geworden. Im August hat er eine grosse Blumenbestellung aufgegeben. Gerade bekommt er die ersten Wünsche für Gestecke.

Er geniesst diese Vorbereitungen, denn die Arbeit mit Pflanzen ist seine Lieblingsbeschäftigung beim Gärtnern. Und auch in der Freizeit: Wenn er mit dem Familienhund spazieren geht, dann fotografiert er jede ihm unbekannte Pflanze und liest zu Hause alles über diese nach. Bei der Frage nach seiner Lieblingsblume zögert er nicht eine Sekunde: «Passionsblume und der Sieben-Söhne-des-Himmels-Strauch. Oft wird die Wichtigkeit von Blumen unterschätzt», sagt er mit einem warmen Lächeln. «Die unterschiedlichen Blumen auf den Gräbern geben jedem Friedhof seinen ganz eigenen Charakter.» Deshalb versuche er – zu Allerheiligen und auch sonst- seinen Klientinnen und Klienten möglichst jeden Wunsch zu erfüllen. Denn die Lieblingsblumen der verstorbenen Grossmutter hätten eben eine andere Bedeutung als die in einem Gartentopf. Auch für dieses Verständnis brauche es die innere Ruhe, das Feingefühl und die Geduld eines Friedhofsgärtners. Aber diese hat Vuille ja nun schon lange.

Man brauche eine gewisse innere Ruhe, um Friedhofsgärtner zu sein, so Jean-Baptiste Vuille.

Bild: Jose R. Martinez